Körper, Apparat und Medium ­ Vom Eigenrecht

des Materiellen in Ästhetik und Kommunikation.

Von Dr. Jens Loenhoff

 

Künstlerisches Schaffen produziert, nutzt und bedarf der Verunsicherung. Ihren heutigen Anspruch würde die Kunst verfehlen, wollte sie nur oberflächlich gefallen, schon auf den ersten flüchtigen Blick erkannt sein. Bei allem Dekorativen, bei aller zugemuteten Langeweile konventionalisierter Mediennutzung sind die Projekte Achim Mohnés Korrektiv. Hinsichtlich der Inanspruchnahme neuer Medien macht es sich der Künstler nicht bequem. Er hat sich dort nicht behaglich eingerichtet im Sinne des Selbstverständlichen, Routinierten und Vertrauten. Im Gegenteil ist sein Zugriff ein eher explorativer, sezierender und eben dadurch ein mit wohltuender Irritation verbundener. Geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen einer sich rasant entwickelnden Kommunikationstechnologie und einem mit der eigenen analogen Sozialisation verbundenen Ambivalenzverhältnis zum Digitalen, gestaltet Achim Mohné seine Installationen, Bildprojekte und Fotogramme. Mögliche Verbindungen des Nulldimensionalen mit dem Räumlichen sucht der Künstler auf in einem Prozeß der "Ein-Bildung", der zugleich beide Seiten präsent hält.

 

Die Installation "Hase und Igel" etwa nimmt Bezug auf jenen elementaren Funktionsmodus elektronischer Medien, der mit der Auflösung von Raum-Zeit-Verhältnissen in lebensweltlicher Erfahrung einhergeht. In einer Kombination von digitaler und analoger Technik, in der eine Kamera zeitversetzt Bilder von Ereignissen im Raum liefert, werden verschiedene Bezüge von Zeit, Bild, Raum und Betrachter "installiert". Daß dabei das zeitverzögerte und das zeitgleiche Bild übereinandergelegt sind, vermittelt nicht nur die Aktualität des Geschehens, sondern auch seine Hinterlassenschaft, deren Ergebnis eine Art "Zeitsalat" ist. Zeit und Ereignis sind derart aufeinander bezogen, daß es ohne Ereignisse im Raum keine Differenz der zeitversetzten Bilder auf der Projektionsfläche gibt. Dabei geht Mohné bei seiner Installation analysierend und synthetisierend zugleich vor. Der nachgerade anatomische Blick in den äußerlich vertrauten, durch Zuhandenheit und permanente Nutzung gewohnten Apparat, dringt ein in die black box des Videogerätes. Der Vertrautheit des Umgangs wird mit ungewohnter Transparenz begegnet.

 

Diese Erkundung zwischen Neugier ­ einer Neugier übrigens, die der Distanz und der Befremdung bedarf ­

und der sympathetischen, sorgfältigen, vor allem praktisch handhabenden Hinwendung zum sezierten Objekt läßt einsichtig werden, wie die siebenminütige Verzögerung der Bilder realisiert wird. Denn der Transport des bespielten Videobandes vom Inneren des einen in jenes des anderen Rekorders durchmißt den Raum in einer Strecke von etlichen Metern. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wird auf eine Weise erfahrbar, die das Temporale verräumlicht. Diese Bewegung vom Digitalen zurück in die alltägliche Erfahrung mit Raum-Zeit-Verhältnissen generiert dabei eine Information eigener Art. Information ­ und das gilt sowohl für ihre analoge wie digitale Form ­ gehört selbst einer sonderbaren ontologischen Klasse an: weder ist sie allein Sache des Bewußtseins noch jener der Materie. Die Zeichenträger, ob als belichtete Fläche oder als Magnetband, erinnern an das Mitspracherecht des Materiellen bei der Generierung von Bedeutung. Und in dem Maße, in dem der Prozeß des Be-deutens in einen solchen des Artikulierens und Formens mündet, öffnet sich die Sphäre des Kommunikativen, die gegenüber dem Informativen stets eine Ordnung eigenen Rechts beanspruchen kann. Diesen Prozeß befördert Mohné mit den künstlerischen Mitteln des Konstruktiven und Dekonstruktiven.

Der stete Körperbezug der Installationen, Bilder und Fotogramme ist dabei mehr als offenkundig.

 

Das vielbeschworene Schwinden des Körpers und seiner Sinne, das sich mit dem elektronischen Zeitalter so scheinbar selbstverständlich zuträgt, wird subtil in Zweifel gezogen, hinterfragt, oft experimentell auf die Probe gestellt. Vor allem dann, wenn die Installationen die Sensomotorik des Betrachters als Input nutzen und Spuren und Fragmente von Körpern auf Monitoren und Projektionsflächen erscheinen. Die Eigenbewegung des zwangsläufig körperlich involvierten Beobachters und dessen perzeptive Aktivität werden zum integralen Bestandteil eines Prozesses der zeitlich und technisch modalisierten Selbstbeobachtung. Solche Zusammenhänge sind in den Arbeiten Mohnés kein zufälliges Nebenprodukt ästhetischer Anstrengungen. Intrinsisches Motiv der Projekte ist die Bearbeitung gerade dieses Fundierungskomplexes, die Rückbezüglichkeit alles Technischen auf die Evidenzquellen des Körpers, seiner kinetischen Erfahrungsmodi, seiner Erfahrbarkeit durch andere, seiner Begehrlichkeit.

 

Moderne Kommunikationstechnologie braucht als Deckungsgrundlage zunächst nicht den ästhetisierten,

verdinglichten, sondern den fungierenden und empfindenden Körper. Daß darin keine bloße Relativierung neuer Medien liegt, sondern ganz im Gegenteil die Chance zu ihrer kreativen und künstlerischen Inanspruchnahme, stellt Achim Mohné mit seinen Arbeiten unter Beweis. Die von ihm betriebene subtile Resubjektivierung und Entdinglichung besteht ­ und das mag prima facie paradox erscheinen ­ zugleich in der Überschreitung eben dieses Körperpotentials durch die genutzen Medien selbst. Der lebendige Körper ist erstes Medium der Zugänglichkeit zur Welt. Doch ist diese Zugänglichkeit nicht ungebrochen, denn der Körper läßt sich wie alle Dinge der Welt in Graden unterschiedlicher Fremdheit und Vertrautheit erfahren. Genau diese vertraute Fremdheit macht den Körper ambivalent und problematisch. Der Doppelcharakter der leiblich-körperlichen Sphäre, der Umstand, daß man sich selbst zum Objekt machen kann, verantwortet deren konfliktäres Potential.

 

Zur Geschichte der Apparate und Maschinen, der elektronischen zumal, gehört auch, daß die Organe des menschlichen Körpers stets Vorbild für deren Entwicklung waren. Die dem Auge nachgeahmte camera obscura, Vorläuferin des Photoapparates und der Videokamera, oder die den natürlichen Sprachorganen nachgebildeten Sprechautomaten des 18. Jahrhunderts, die die Entwicklung moderner Mikrofon- und Lausprechersysteme vorbereiteten, machen derartige Verwandschaften einsichtig. Eine Eigenart dieser Geschichte ist es, daß solche Erfindungen selbst wieder den Blick auf den menschliche Körper verändern und ihn nach dem Modell technologischer Erfindungen auszulegen suchen. Auch von diesem inversen Verhältnis scheint etwas durch in den Arbeiten von Achim Mohné.

 

Die Analogie zum Körper der Anatomie ist omnipräsent, bei Mohné als suggestiver Blick ins Gedärm moderner Kommunikationstechnologie wie in der Installation "Hase und Igel", als Mikroauschnitte von Körperteilen oder in der Videoskulptur "Der Kommissar", in der statisch aufgeladene Videobänder, Exkrementen ähnlich, das Innere des Rekorders verlassen, um für eine Weile in stetiger Veränderung am Monitor zu kleben und dann zu Boden zu fallen. Dies geschieht gleichsam nach verrichtetem Stoffwechsel, dessen Korrelat in Form stereotyp produzierter Serien die Fernsehnation der sechziger und siebziger Jahre ­ Reminiszenzen an die eigene mediale Sozialisation des Künstlers ­ zu unterhalten in der Lage war.

 

Die Einführung des körperlich präsenten Beobachters als Aktivposten der Projekte, freilich unter den Optionen der Apparaturen, kennzeichnet auch die Installation "index:/love". Die corporealen Bezüge werden hier unter besonderer Betonung des Blicks und seiner Vorführung deutlich. Im Zentrum dieser kombinierten Film- und Videoinstallation steht abermals die Aktivität des Rezipienten, der in einer dunklen Kammer an einem 16mm Filmschneidetisch Bilder und Filmausschnitte seiner Wahl generiert. Die Bestandteile der abrufbaren Bilderkartei ­ Fragmente kommerzieller Pornofilme, die in einer Endlosschleife laufen ­ vermitteln ein Peepshow-Ambiente, zu dem parallel kaum identifizierbare Mikroausschnitte des menschlichen Körpers, u.a. auch vom Künstler selbst, verfügbar sind. Das taktile Begehren des Betrachters findet statt des lebendigen Körpers nur den Bedienungsknopf der Installation, mit der der Zugriff aufs Gewünschte gesteuert wird. Anhand einer Videoüberwachungsanlage wird der Blicks des Begehrens aus der intimen Betrachtersituation auf einen separaten Monitor exportiert und, nunmehr aus dem Kontext isoliert, dem Blick anderer zugänglich gemacht. Der spielerische Umgang mit der Differenz von Privatheit und Öffentlichkeit, die Anklänge an exibitionistische und voyeuristischen Wahrnehmungsattitüden ­ ähnliche Motive charakterisieren auch die Arbeit "Limitierte Entblößung" ­ bestimmen dabei die Konzeption.

 

Im Kommunikationsprojekt "CineCorpse" schließlich, das zusammen mit dem in New York lebenden Künstler Hermann Feldhaus realisiert wurde, geht es um die Etablierung eines dialogischen Systems, das sich zugleich präsentativer und diskursiver Formen bedient und deren Bestandteile mitunter an surrealistische Zeichnungen im Stile des "cadavre exquisite" erinnern. Und es geht um das Verhältnis dieser Formen und ihrer Materialität im Kontext neuer Medien. Die zur Planung und Durchführung genutzte On-line-Kommunikation wird dabei selbst Bestandteil des ästhetischen Prozesses. Dieses genealogische, auf Transparenz des Entstehungsprozesses setzende Verfahren, nötigt den Betrachter zu Rekonstruktionsarbeit. Die technische und formale Originalität des Projektes liegt in der je von einem der beiden Künstler ohne Eingriff des anderen belichteten Seite eines Doppel8/16mm-Films auf der Grundlage on-line kommunizierter Texte. Diese doppelblinden Parallelisierungseffekte, die ungeahnte Gemeinsamkeit zwischen Steuerung und Überraschung einplanen, bilden schließlich die Grundlage einer den Installationsraum durchlaufenden Filmskulptur. Abermals die Transformation ins Räumliche suchend, werden Bilder und Kommunikationswege in einen wechselseitigen Verweisungszusammenhang gestellt.

 

Die andere, neben Körperbezug und Ambivalenzverhältnis zum elektronischen Medium liegende Dimension der Arbeiten Mohnés liegt im Biographischen und der damit verbundenen selektiven Selbstbeschreibung. Dies zeigt neben dem Projekt "Der Kommisar" vor allem die Filminstallation "1642 Selbstbestätigungen ­ sich selbst als fremd sehen". Hier verarbeitet der Künstler Jugendfotos der genannten Zahl, die in Einzelbildeinstellung auf einen Film projiziert sind. Die ruhenden Fotos eines im Installationsraum ausliegenden Kinderalbums bilden den Kontrast zum rasanten Tempo, mit dem 24 Bilder pro Sekunde auf einer Leindwand am Betrachter vorbeirasen und die Identität der einzelnen Fotos in einer optischen Spur auflösen. Der Unzerstörbarkeit der Kindheit stehen Ikono-klasmen, Zerstörungen der Bilder gegenüber, mit denen Erinnerungen, Phantasien und Affekte verbunden sind. Die Polarität von Beschleunigung und Stillstand, von konsistenten Bildern und ihrer Auflösung, verweisen auf jene Neu- und Umdeutung biographischer Fragmente, die im individuellen Bewußtsein sich permanent vollzieht.

Die ereignisorientiert angelegten Arbeiten von Achim Mohné suchen zur Euphorie der digitalen Technik ein ambivalent-vielschichtiges, mitunter subversives Verhältnis. Die das Potential dieser Medien nutzenden, im Prozeß der künstlerischen Umsetzung aber nicht Einfaches, Identisches, sondern auf Paradoxien, Selbstrerefenzen und Rekursionen setzenden Installationen, Film- und Videoskulpturen, lassen den zum Teilnehmer werdenden Betrachter zuweilen bewußt im Zweifel über eben dieses Potential. Bereits Heidegger spricht, darin die Verunsicherung einer späteren Philosophengeneration vorwegnehmend, von der "trostlosen Raserei der entfesselten Technik". Die Arbeiten von Achim Mohné sind geeignet, über ihren künstlerischen Anspruch hinaus am Projekt irritierter Selbstbeobachtung unter gerade diesen Bedingungen festzuhalten. back to vitae

Jens Loenhoff